Donnerstag 18. Februar 2016. Am vergangenen Donnerstag hielt Wolfgang Grenz, Asylexperte von Amnesty International, einen Vortrag in der Ev. Stadtkirche Unna, zur aktuellen EU-Flüchtlingspolitik. Hier eine kurze Zusammenfassung:
Die europäische Flüchtlingspolitik
Schätzungen zufolge, sind in den letzten Jahren tausende Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ertrunken. Die Länder der europäischen Union haben sich davon weitgehend unbeeindruckt gezeigt. Erst mit zwei tragischen Schiffsunglücken vor Lampedusa im Oktober bzw. November 2013, mit insgesamt über 500 Toten, erfolgte ein Umdenken. 9 Millionen Euro monatlich investierte Italien in die Operation “Mare Nostrum” und rettete damit 155.000 Menschen aus dem Mittelmeer, bis die Operation, aus finanziellen Gründen eingestellt werden mußte.
Die 2014 darauf folgende EU-Operation “Triton”, mit nur einem Drittel der finanziellen Ausstattung von “Mare Nostrum”, konnte nicht verhindern, das weiterhin jedes Jahr über 3000 Menschen im Mittelmeer ertrinken, zuletzt über 3600 Tote im Jahr 2015.
Warum ist es so gefährlich nach Europa zu gelangen?
Die europäische Union schottet sich seit Jahren ab und bietet kaum legale Einreisemöglichkeiten nach Europa. In den letzten Jahren wurde der Landweg nach Europa zunehmend abgeriegelt, durch die Verstärkung der griechischen Landgrenze. Die Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Nahen Osten sind somit in zunehmendem Maße gezwungen, den Seeweg über das Mittelmeer als Fluchtroute zu wählen. Und das oft in völlig seeuntauglichen Booten, denen häufig sogar Hilfeleistung verwehrt wird, obwohl dies nach Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens eine Verpflichtung für jeden Schiffsbesatzung ist.
Über das Schicksal von Bootsflüchtlingen, die Fluchtumstände und -Ursachen informiert unsere derzeitige Ausstellung in der Ev. Stadtkirche in Unna.
Widersprüchliche Interessen der Europäischen Union
Dabei steht die Europäische Union durchaus auch zum Flüchtlingsschutz. Neben der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen auf der Basis der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) hat sich die EU in Artikel 78 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) selbst für die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems ausgesprochen.
Demgegenüber steht allerdings das Interesse an der Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Hierfür wurde mit Frontex eine europäische Grenzschutzagentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen geschaffen. Hier wird für hunderte Millionen Euro ein Überwachungs- und Grenzkontrollsystem geschaffen, dessen Priorität in der Praxis bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung und nicht beim Flüchtlingsschutz liegt.
Menschenrechte und Flüchtlingsschutz
Dass ein Staat Flüchtlingen Schutz gewährt, ist nicht nur eine Frage der Menschlichkeit, sondern auch eine völkerrechtliche Verpflichtung. Nach Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat „Jeder Mensch das Recht, in anderen Ländern Schutz vor Verfolgung zu suchen und zu genießen.“ Auch in Artikel 18 der Europäischen Grundrechtecharta wird „Das Recht auf Asyl nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet“.
Nach Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist ein Flüchtling eine Person, die begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung hat. Die Abschiebung ohne Prüfung eines Asylantrages ist den Vertragsstaaten gemäß Artikel 33 der GFK nicht erlaubt.
Hat ein Flüchtling es geschafft, die Grenzen der Europäischen Union zu erreichen, ist nach Artikel 13 der Dublin III Verordnung der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze er aus einem Drittstaat kommend überschritten hat. Dies basiert auf der Annahme, dass in jedem EU-Mitgliedsstaat der Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt wird und dass Asylsuchende menschenrechtskonform behandelt werden. Die Realität sieht allerdings anders aus.
Darüberhinaus führt diese Regelung zu einer starken Belastung der Grenzstaaten. Dennoch hatte Deutschland im Jahr 2014 die meisten Asylsuchenden zu verzeichnen. Im Pro-Kopf-Verhältnis zur Bevölkerungszahl liegt Deutschland bei den Asylsuchenden allerdings nur an sechster Stelle in der EU. Obwohl die EU durchaus gewillt ist, Maßnahmen für den Flüchtlingsschutz zu ergreifen, wie z.B. die Erweiterung der Operation Triton, die Neuansiedlung (Resettlement) von 20.000 Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 1016 oder die geplante Umsiedelung von 160.000 Syrern und Eritreern aus Italien und Griechenland in andere EU-Staaten, reichen diese Maßnahmen bei weitem nicht aus. Andere Vorhaben, wie der Aktionsplan gegen Schlepper oder ein UN-Mandat zur Zerstörung von Booten sind aus Sicht des Flüchtlingsschutzes wohl eher als bedenklich zu sehen.
Auch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Kontrolle von Migrationswegen muß sich immer auch an den internationalen Standards zum Flüchtlingsschutz messen lassen. Häufig mangelt es hier am Zugang zu einem ordentlichen Asylverfahren. Wenn Transitländer keinen Schutz gewähren können, muß die Einreise nach Europa möglich sein.
Die zur Zeit in Deutschland diskutierten Maßnahmen, um die Zahl der einreisenden Flüchtlinge zu begrenzen werden die geringfügigen Verbesserungen im Asylrecht der letzten Jahre wieder zunichte machen. Dies betrifft z.B. Beschränkungen bei der Familienzusammenführung oder Regelungen beim subsidiären Schutz, also dem Schutz von Flüchtlingen, die nicht unter den Schutz der Genfer Flüchtlingkonvention fallen, denen aber ein ernsthafter Schaden drohen würde, wenn sie in ihr Herkunftsland abgeschoben würden. Dabei sind, so Wolfgang Grenz, “Gesetze zum Flüchtlingsschutz keine Schönwetterregeln, sondern sie müssen sich auch und gerade dann bewähren, wenn die Situation sich verschlechtert”.
Forderungen von Amnesty International
Um Flüchtlinge. die vor Krieg, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen fliehen, einen wirkungsvollen Schutz zu gewährleisten, muß die Europäische Union legale Einreisemöglichkeiten schaffen durch eine großzügigere Visaerteilung und eine Verstärkung von Resettlementprogrammen. Ausserdem ist die Seenotrettung von Flüchtlingen und Migranten dringend auszubauen um weitere Tragödien im Mittelmeer zu verhindern. Weiter müssen die Interessen von Flüchtlingen in Bezug auf das Aufnahmeland Berücksichtigung finden und Freizügigkeit für Schutzberechtigte innerhalb der EU gelten.