Doppel-Staatsangehörige im Visier
Am 4. August 2021 wurde die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi von einem iranischen Gericht zu zehn Jahren Haft wegen der angeblichen Beteiligung an einer “illegalen Gruppierung” und zu acht Monaten wegen “Propaganda gegen den Staat” verurteilt. Sie ist im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Ende Juli wurde bekannt, dass sie sich dort mit dem Corona-Virus angesteckt hat. Am 28. August ist Nahid Taghavi 67 Jahre alt geworden. Im Interview erzählt ihre in Deutschland lebende Tochter Mariam Claren, wie sie für die Freilassung ihrer Mutter kämpft.
Frau Claren, Ihre Mutter muss ihren Geburtstag im Evin-Gefängnis in Teheran verbringen. Sie hatte vor kurzem eine Corona-Infektion. Wie ist ihre derzeitige gesundheitliche Verfassung?
Meine Mutter ist am Montag, den 23. August, nach rund fünf Wochen auf der Quarantäne-Station zurück in den Frauentrakt verlegt worden. Ob sie wieder Corona-frei ist, wissen wir leider nicht, da man sie zwar vor einer Woche getestet, ihr aber das Ergebnis verschwiegen hat. Eines der vielen taktischen Spiele der iranischen Behörden. Die Corona-Infektion und die vielen Monate der Einzelhaft haben ihre Spuren bei meiner Mutter hinterlassen. Sie ist sehr geschwächt und hat mit hohem Blutdruck und chronischer Schlaflosigkeit zu kämpfen. Aber auch mental geht das alles nicht spurlos an einem vorüber. Mehr als zwei Drittel der Frauen im Evin-Gefängnis sind im vergangenen Monat aufgrund einer Corona-Infektion in den Hafturlaub entlassen worden – nur nicht meine Mutter.
Sie wurde Anfang August in einem unfairen Verfahren zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt. Wie hat sie das Urteil aufgenommen?
Sie hat das Urteil besser aufgenommen, als ich dachte. Meine Mutter kennt sich sehr gut mit iranischer Politik aus, sie beobachtet die Machenschaften des Regimes seit mehr als 40 Jahren – demnach hatte sie sich mental schon auf eine unverhältnismäßige und unfaire Haftstrafe eingestellt. Ich habe ihr gesagt, dass sie unter keinen Umständen so lange im Gefängnis bleiben wird, und ich Himmel und Hölle bewegen werde, damit sie frei kommt.
Welche rechtlichen Schritte kann Ihre Mutter mit ihrem Rechtsbeistand gegen das Urteil noch einleiten?
Eine sehr gute Frage, die ich leider im Moment nicht beantworten kann. Ihr Rechtsanwalt Mostafa Nili ist vergangene Woche ebenfalls festgenommen worden, sein Aufenthaltsort ist unbekannt. Herr Nili ist spezialisiert auf Menschenrechtsfälle, vielen politischen Gefangenen fehlt nun durch seine Verhaftung ihr Rechtsbeistand. Wir sind sehr besorgt und hoffen, dass er schnellstmöglich frei kommt. Sein Platz ist an der Seite seiner Mandantinnen und Mandanten, nicht hinter Gittern.
Sie versuchen, Ihre Mutter von Deutschland aus in dieser Situation zu unterstützen. Welche Aktivitäten gehören dazu?
Ich organisiere seit dem Tag ihrer Verhaftung die ganze Free-Nahid-Kampagne. Dazu zählt vor allem Öffentlichkeitsarbeit in den klassischen und sozialen Medien, Zusammenarbeit mit NGOs wie Amnesty, Lobbyarbeit bei Mitgliedern des Bundestags und gemeinsame Aktionen mit Familien anderer politischer Gefangener. Ich bin der Meinung, dass Öffentlichkeit und der Druck aus der Bevölkerung am Ende helfen werden, meine Mutter freizubekommen.
Was fordern Sie von den iranischen Behörden?
Es fällt mir schwer, von einer Regierung, die systematischen Staatsterror betreibt, Andersdenkende wegsperrt und foltert und jeden Protest brutal niederschlägt, etwas zu fordern. Das Mindeste wäre aber: Freiheit für alle politischen Gefangenen.
Was würden Sie sich von der Bundesregierung im Fall Ihrer Mutter wünschen?
Von der deutschen Bundesregierung würde ich mir vor allen Dingen mehr sichtbaren Einsatz wünschen. Ich habe einen sehr empathischen und professionellen Kontaktbeamten beim Auswärtigen Amt, aber mir fehlt der diplomatische und politische Druck auf den höheren Ebenen. Menschenrechte sind nicht teilbar, die Menschen im Iran haben Freiheit verdient. Leider ist die Politik unserer Bundesregierung, was dieses Thema angeht, sehr schwach.
Interview: Stefan Wirner
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