Koalitionsvertrag: Menschenrechte verankert, Amnesty wird Umsetzung kritisch begleiten

Protestaktion am Rande der Ampel-Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP am 15. November 2021 in Berlin © Amnesty International, Foto: Stéphane Lelarge

Amnesty International begrüßt, dass die künftige Regierung an zahlreichen Stellen Menschenrechte als Orientierung für ihre Innen- und Außenpolitik im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Gleichzeitig sieht die Menschenrechtsorganisation in anderen Bereichen Schärfungsbedarf und kündigt an, die Umsetzung der Versprechen konstruktiv aber kritisch zu begleiten.

Amnesty International bewertet den am Mittwoch vorgelegten Koalitionsvertrag als Chance, die Einhaltung der Menschenrechte als handlungsleitenden Kompass in der deutschen Innen- und Außenpolitik zu stärken. Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, sagt: “Wir begrüßen die in vielen Bereichen wichtigen menschenrechtlichen Ziele, ob beim Schutz von Frauen und Mädchen, bei sexueller Selbstbestimmung, bei menschenrechtskonformer Digitalisierung, beim Flüchtlingsschutz oder einer konsequenteren Rüstungsexportkontrolle. Jetzt gilt es, die Umsetzung kritisch zu begleiten sowie in der Legislaturperiode beharrlich darauf hinzuwirken, dass Fehlendes, wie in der Afrikapolitik, ergänzt wird.”

Der Koalitionsvertrag bietet gute Ansatzpunkte, um die Menschenrechte im digitalen Zeitalter künftig besser zu schützen. Sehr positiv zu bewerten sind die geplante Überwachungsgesamtrechnung, die Eingrenzung des Einsatzes von Staatstrojanern, das Verbot von biometrischer Überwachung, Social Scorings und des Ankaufs von Sicherheitslücken sowie der Exportstopp von Überwachungssoftware an sogenannte “repressive Regime”. Stellenweise bleiben die Vorhaben aber hinter dem menschenrechtlich Notwendigen zurück oder es gibt Leerstellen, bei denen es darauf ankommen wird, ob und wie sie in den kommenden vier Jahren gefüllt werden.

Der in der Flüchtlingspolitik angedeutete Paradigmenwechsel ist überfällig, um den Flüchtlingsschutz und die Menschenrechte besser zu achten und zu schützen. Dass die Koalition auf Bundesebene ein humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghan_innen auflegen will, begrüßt Amnesty International. Beeko sagt: “Der Koalitionsvertrag verspricht Hoffnung für Tausende gefährdete Afghan_innen, die nach der Machtübernahme der Taliban in deren Visier geraten sind und noch in Afghanistan oder der Nachbarregion in Gefahr sind. Ein unbürokratisches Ortskräfteverfahren, ein humanitäres Aufnahmeprogramm auf Bundesebene – all das sind konkrete Schritte, die exemplarisch zeigen können, wie eine neue Regierung auch international Verantwortung übernehmen kann.” Endlich soll der Familiennachzug für subsidiär geschützte Menschen mit dem für anerkannte Flüchtlinge gleichgestellt und beschleunigt sowie der Nachzug minderjähriger Geschwister zu ihren Familien in Deutschland rechtlich verankert werden – eine Forderung, die Amnesty International schon lange stellt.

Amnesty begrüßt das geplante nationale Rüstungsexportgesetz. Beeko sagt: “Wenn richtig ausgestaltet, kann das Gesetz Rüstungsexporte hoffentlich künftig besser kontrollieren. Wichtig ist auch, dass die Koalition sich für die Ächtung autonomer tödlicher Waffensysteme einsetzen will. Die aktuelle Formulierung fällt jedoch irritierend schwach aus: Die Ampel muss sich für einen internationalen Verbotsvertrag einsetzen, der letale autonome Waffensysteme für den militärischen oder polizeilichen Einsatz und Grenzkontrollen verbietet. Es darf keine Waffensysteme ohne bedeutsame menschliche Kontrolle geben.”

Amnesty begrüßt das ausdrückliche Bekenntnis der Koalition zu einer menschenrechtsgeleiteten Außenpolitik. Das klare Bekenntnis zum Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, zu starken Monitoringmechanismen und die Stärkung des internationalen Strafrechts reflektiert das Bewusstsein für aktuelle Herausforderungen im internationalen Menschenrechtsschutz. “Es braucht eine Regierung, die Menschenrechte gegenüber anderen Staaten anspricht, und die bei Widerständen robust bleibt und nachsetzt, statt nachzugeben”, so Beeko. “Menschenrechtsverletzende Staaten müssen kontinuierlich und mit Nachdruck daran erinnert werden, dass sie in der Pflicht sind, Menschenrechte zu achten. Hier setzen wir Hoffnung und Erwartungen in die neue Bundesregierung.”

Als vollkommen unzureichend bewertet Amnesty International klare Prinzipien für die Kooperation mit afrikanischen Staaten – hier wäre der Verweis auf Menschenrechtsstandards als Grundlage für alle Kooperationen besonders wichtig, gerade vor dem Hintergrund höchst problematischer Migrationskooprationen. Für das im Koalitionsvertrag erwähnte militärisch-zivile Engagement in der Sahel-Region muss dies jedoch Voraussetzung sein. Kern der Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern muss die Unterstützung der Zivilgesellschaft durch die Bundesregierung sein. Beeko sagt: “In für Deutschland wichtigen afrikanischen Kooperationsländern wie Nigeria und Äthiopien wird der zivilgesellschaftliche politische Raum rapide immer weiter eingeschränkt. Die Bundesregierung ist gefordert, bei jeglichen Kooperationen mit afrikanischen Ländern zu prüfen, ob menschenrechtliche Risiken bestehen.”